Begriff

Der Begriff "Nachhaltigkeit", "Nachhaltige Entwicklung" oder auch "sustainable development" wird heute in vielen Zusammenhängen genutzt.

„Säge nicht an dem Ast, auf dem du sitzt!“ So könnte man Nachhaltigkeit in einem Satz ausdrücken. „Nachhaltigkeit“ taucht als Leitziel, Modewort, Kampfbegriff oder Worthülse heute beinahe überall auf. Das Wort prangt auf Produktverpackungen, steht in Wahlprogrammen und Geschäftsberichten oder ziert Werbebroschüren. Jede und jeder füllt es mit einer eigenen Interpretation.[1] Doch was verbirgt sich hinter diesem Begriff?

Der Brundtland-Bericht, den die UN-Weltkommission für Umwelt und Entwicklung 1987 veröffentlichte, formuliert es so: „To make development sustainable – to ensure that it meets the needs of the present without compromising the ability of future genereations to meet their own needs.“[2] Eine Entwicklung nachhaltig zu gestalten, bedeutet also, sicherzustellen, dass die Bedürfnisse von heute befriedigt werden, ohne dass dies die Fähigkeit zukünftiger Generationen, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen, beeinträchtigt. Während über diesen Grundgedanken der Nachhaltigkeit weitgehend Einigkeit besteht, scheiden sich die Geister bei der Frage, wie dieser Gedanke konkretisiert und umgesetzt werden kann. Dazu gibt es etliche Theorien und Modelle mit drei, vier oder fünf Säulen, Balken oder Leitplanken – es gibt Definitionen starker und schwacher Nachhaltigkeit.

Im Zentrum steht immer die Fragestellung, wie wir Menschen heute leben können, damit nachfolgende Generationen dieselben Lebensmöglichkeiten wie unsere heutige Generation haben werden. Diese Zukunftsverantwortung kann auch als intergenerative Gerechtigkeit bezeichnet werden. Nachhaltigkeit beinhaltet jedoch auch Gerechtigkeit innerhalb der heute die Erde bevölkernden Menschheitsgeneration. Diese intragenerative Gerechtigkeit verbindet man meist mit Schlagworten wie „globale Verteilungsgerechtigkeit“.[3]

Die meisten Nachhaltigkeitsdefinitionen beziehen sich auf die sogenannten Dimensionen der Nachhaltigkeit. Neben die wirtschaftliche, die soziale und die ökologische Dimension tritt in manchen Theorien eine politisch-institutionelle oder eine kulturelle Dimension. Wir können Nachhaltigkeit anhand des Konzepts der ökologischen Leitplanken verstehen: Nach dieser Theorie hat die ökologische Dimension der Nachhaltigkeit Priorität, weil man davon ausgeht, dass die anderen Dimensionen nur innerhalb der ökologischen Belastbarkeitsgrenzen unserer Erde verwirklicht werden können.[4] Daher müssen „Bandbreiten der menschlichen Umweltbeeinflussung“[5] festgelegt werden, die sich innerhalb dieser Belastbarkeitsgrenzen der Natur befinden.[6] Bewegt sich die Nutzung der Umwelt durch den Menschen innerhalb dieser Bandbreiten, ist sie ökologisch nachhaltig.[7]

Innerhalb des beschriebenen ökologischen Rahmens betont die soziale Dimension der Nachhaltigkeit den Aspekt der intragenerationellen Gerechtigkeit. Jedem Menschen sollen eine Lebensgrundlage und Entwicklungsmöglichkeiten zur Verfügung gestellt werden. Das beinhaltet: „(a) basic human needs as nutrition and shelter […]; (b) human freedoms including political rights, economic facilities, social opportunities, transparency guarantees, and protective security […]; and (c) human development, which expands social, economic, cultural, and political choices and leads to equity, sustainability, productivity, and empowerment […].“[8]

Wenn man Nachhaltigkeit auf diese Weise versteht, bedeutet die Umsetzung des Konzepts einen Paradigmenwechsel. Mit den bisherigen Konzepten der westlichen Marktwirtschaften kommt man bei der Bewältigung der Nachhaltigkeitsherausforderung nicht mehr weiter.[9] Unsere Vorstellungen von Wohlstand, bedingungslosem wirtschaftlichen Wachstum und Effizienz als Allheilmittel müssen überdacht werden: „Sustainability […] requires rejection of the myth that equates growth with human progress […]. This paradigmatic change compels fundamental transformations. It requires refocusing the goal of development, revalidating the role of governance, restructuring the development process and redefining indicators of success.“[10]

Nachhaltigkeit heißt, die Perspektive zu ändern, ökologische Grenzen als gegeben anzunehmen und die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft daran auszurichten.

Unsere westliche Lebensweise ist auf beständiges wirtschaftliches Wachstum, das zwangsläufig mit sogenanntem Naturverbrauch einhergeht, ausgelegt.[11] Auf der einen Seite entnehmen wir der Erde Ressourcen und nutzen die Dienstleistungen, die uns die Ökosysteme zur Verfügung stellen.[12] Wir fördern beispielsweise Erdöl oder genießen eine hohe Luftqualität, die u. a. durch städtische Grünanlagen erreicht wird. Auf der anderen Seite geben wir der Umwelt die Abfälle unseres Lebensstils wieder zurück – in Form von CO2, das wir in die Atmosphäre entlassen, oder Chemikalien, die nach der Nutzung in Gewässer entsorgt werden. Um den Wohlstand des globalen Nordens (den Industrieländern) zu ermöglichen, hat dieser weltweit Ressourcen ausgebeutet – die Rohstoffnutzung wurde über die Grenzen der Länder hinaus räumlich entgrenzt. Da die industrielle Entwicklung auch den globalen Süden erreicht, wird die Ausbeutung von Ressourcen nun auch zeitlich entgrenzt. Es werden mehr Rohstoffe verbraucht, als die Natur im gleichen Zeitraum reproduzieren kann.[13] Dadurch stehen den nachfolgenden Generationen zwangsläufig weniger Ressourcen zur Verfügung.

Durch diese wenig nachhaltige Wirtschaftsweise hat unsere westliche Gesellschaft den materiellen Wohlstand erreicht, in dem wir heute leben. Doch: „Humanity’s demand on the biosphere […] has more than doubled over the past 45 years as a result of population growth and increasing individual consumption, and currently exceeds the planet’s regenerative capacity by about 30%. If our demands on the planet continue at the same rate, by the mid-2030s we will need the equivalent of two planets to maintain our lifestyles.“[14]

Der erste Schritt hin zu einer nachhaltigen Lebensweise besteht darin, ein Bewusstsein für die Auswirkungen des eigenen Handelns zu entwickeln. Aber auch ein ausgeprägtes Nachhaltigkeitsbewusstsein muss noch nicht dazu führen, dass wir unsere Verhaltensweisen tatsächlich verändern.[15] Nichtsdestotrotz gibt es viele eindrucksvolle Projekte in der Zivilgesellschaft, die aufzeigen, wie der Wandel funktionieren kann. So leben beispielsweise die Transition-Town-Initiativen bereits eine, nachhaltigere neue Stadtkultur und das Konzept des Buen Vivir aus Lateinamerika führt uns vor Augen, wie Nachhaltigkeit politisch-institutionell verankert werden kann. Wie wir diesen Wandel mitgestalten können, möchten wir gemeinsam auf dem Jugendkongress „Zukunft selber machen! Junge Ideen für Nachhaltigkeit“ erfahren, lernen, ausprobieren, erleben – kurz: selber machen!

Text: Carl-Frederick Luthin, Mai 2015

Quellen

  • BODEN, Mark et al. (2010): Facing the future: time for the EU to meet global challenges. Sevilla.
  • GRUNWALD, Armin und KOPFMÜLLER, Jürgen (2006): Nachhaltigkeit, Frankfurt: Campus Verlag.
  • MAGIS, Kristen und SHINN, Craig (2009): Emergent Principles of Social Sustainability, in: DILLARD, Jesse, DUJON, Veronica und KING, Mary C. (2009): Understanding the Social Dimension of Sustainability, Abingdon: Routledge.
  • PAECH, Niko (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 7. Auflage, München: oekom verlag.
  • United Nations World Commission on Environment and Development (WCED) (1987): Our Common Future, Oxford: Oxford University Press.
  • WELZER, Harald (2013): Selber denken. Eine Anleitung zum Widerstand, 5. Auflage, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag
  • World Wide Fund for Nature (WWF) (2014): Living Planet Report 2014. Species and spaces, people and places, Gland.
  • World Wide Fund for Nature (2014): Living Planet Report 2014. Kurzfassung, Berlin.

Fußnoten


[1] Vgl. Armin GRUNWALD und Jürgen KOPFMÜLLER (2006): Nachhaltigkeit, Frankfurt: Campus Verlag, S. 56.

[2] United Nations World Commission on Environment and Development (WCED) (1987): Our Common Future, Oxford: Oxford University Press, S. 8.

[3] Vgl. GRUNDWALD, KOPFMÜLLER (2006), S. 61.

[4] World Wide Fund for Nature (WWF) (2014): Living Planet Report 2014. Species and spaces, people and places, Gland, S. 65 f.; WWF (2014): Living Planet Report 2014. Kurzfassung, Berlin, S. 8.

[5] GRUNWALD, KOPFMÜLLER (2006), S. 56.

[6] Ein Ansatz, der die Belastungsgrenzen der Natur detailliert beschreibt, ist das Modell der „planetary boundaries“ des Stockholm Resilience Centre (https://www.pik-potsdam.de/aktuelles/pressemitteilungen/archiv/2009/planetarische-grenzen-ein-sicherer-handlungsraum-fuer-die-menschheit).

[7] Vgl. GRUNWALD, KOPFMÜLLER (2006), S. 54-56.

[8] Kristen MAGIS und Craig SHINN (2009): Emergent Principles of Social Sustainability, in: Jesse DILLARD, Veronica DUJON und Mary C. KING (2009): Understanding the Social Dimension of Sustainability, Abingdon: Routledge, S. 19.

[9] Vgl. Harald WELZER (2013): Selber denken. Eine Anleitung zum Widerstand, 5. Auflage, Frankfurt a. M.: S. Fischer Verlag, S. 14.

[10] MAGIS, SHINN (2009), S. 18.

[11] Vgl. Niko PAECH (2014): Befreiung vom Überfluss. Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, 7. Auflage, München: oekom verlag, S. 74 f.

[12] Die sogenannten Ökosystemdienstleistungen sind Funktionen der Natur, die einen bereitstellenden, regulierenden, schützenden oder kulturellen Nutzen für den Menschen haben.

[13] Vgl. PAECH (2014), S. 16-18.

[14] Mark BODEN et al. (2010): Facing the future: time for the EU to meet global challenges. Sevilla, S. 14.

[15] Vgl. WELZER (2013), S. 30.